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Die Traumfänger von Buenos Aires

Berliner Zeitung
by Ingeborg Ruthe © 2014

Das Klischee von der Tango-Stadt Buenos Aires erfährt in dieser Ausstellung eine schmerzhafte Ernüchterung. Der in Berlin lebende Argentinier Miguel Rothschild zeigt Bildkästen von einer entseelten Favela. Er nennt sie „Traumfänger“.

Sie helfen dem, der an sie glaubt: Traumfänger. Das ursprünglich indianische Kultobjekt hat sich weit verbreitet, dieses aus Garn kunstvoll um einen Weidenrohr-Reifen geknüpfte Netz, an dem sanft Federn, Perlen, oder gar „heilige“ Dinge baumeln. Das mystische Ding soll den Schlaf verbessern. Die guten Träume, heißt es, gingen durchs Netz. Die schlechten würden hängen bleiben, gebannt – und von der Morgensonne getilgt.
Miguel Rothschild, geboren 1963 in Buenos Aires, in den 1990er-Jahren an der UdK Meisterschüler von Rebecca Horn, seither Wahlberliner, kennt in der alten Heimat keinen, der nicht so ein magisches Gebaumel am Bett hängen hat. Und so nennt er seine neue Buenos Aires-Bildserie denn auch „Atrapasuenos (Traumfänger)“. Zugleich sagt er, vor all den menschenleeren Fotos, meist hinter Glas an den Wänden seiner Berliner Galerie Kuckei+Kuckei, die Schau könne aber auch „Die Scherben unseres Glücks“ heißen.
Fast reliquienhaft eingeschreint in einen Glaskasten
Denn die Nummer Fünf der Serie zeigt, fast Reliquienhaft eingeschreint in einen Glaskasten, das Foto eines heruntergekommenen Stadtviertels der argentinischen Hauptstadt. In der Metropole lebt der Mythos, parallel dazu das Klischee: Stadt des Tangos, in den Straßen und Gassen verwehen noch die herzzerreißenden Mundharmonika-Klänge des Ur-Tango-Spielers Angel G. Villoldo oder packt Astor Piazzollas Tango Nuevo den Körper.
Herb, ja brutal schlägt dann die Ernüchterung zu beim Anblick der Slums. Kein Tango. Keine heiße Leidenschaft, wilde Lust, die im Rhythmus doch gezügelt werden will. Hier herrschen nur harte, dürre, rohe Armut und Gottverlassenheit. Der rote Backstein täuscht einstige Wohnlichkeit, auch Stabilität nur vor, entweder sind die trostlosen, maroden, entseelten Reihenbauten nie fertig geworden. Oder aber sie wurden so heruntergewohnt, dass Balkonbrüstungen, Geländer, Fenster, Türen, selbst die Stromleitungen längst ihre Funktion aufgegeben haben und all der herumstehende Müll nur noch an einst hier gelebtes, vielleicht sogar einmal lebenswertes Leben erinnert.
Dennoch macht Rothschild, Sohn dieser Stadt, die Favela kunstwürdig, nicht mit dem Pathos der Tragik, eher mit dem sarkastischen Gespür für Vergänglichkeit, zumal in einer selbstzerstörerischen, gleichgültigen, hilflosen Gesellschaft. Aber der Künstler ist kein Sozialkritiker. Er wandelt seinen Schmerz in eine konzeptuelle Geste, ironisch-humorig: Er fotografiert, ergänzt die herunterhängenden Telefon- und Stromleitungen über den Elendsquartieren mit dichten Kratzlinien auf dem Glas. Als rabiate Neukartographierung der Stadt.