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Die Leichtigkeit des Schmerzes
Miguel Rothschild reflektiert das Leid ironiisch iim Kunsttrraum iin derr Schiiffbauerrgasse
Märkische Allgemeine

by Hanne Landbeck © 2008

POTSDAM / BERLINER VORSTADT – Meist bunt ist die Kunstwelt des 1963 in Buenos Aires geborenen Miguel Rothschild, der im Kunstraum seine eigene Art der kulturgeschichtlichen Interpretation vorführt. Stets geht es in seinen Arbeiten um eine der schwerwiegendsten Traditionen des Christentums, nämlich um den Schmerz, das Leid. Aber das kommt mit einer solchen Leichtigkeit daher, dass dieses Paradox nicht immer sofort erkennbar ist: Er arbeitet mit Kinderspielsymbolen, mit Comics und fröhlichen Farben. An Seilen, die an der Decke angebracht sind, laufen, hängen, tanzen, schweben Heilige Sebastians aus Papier. Sie sind gelb, blau, rot, orange und unten auf dem Fußboden liegen die Konfetti, die beim Stanzen der Pfeillöcher entstanden sind.
Zahllose Sebastiandarstellungen hat Rothschild, der seit 1991 in Berlin lebt, für dieses Werk benutzt: Da gibt es den Heiligen mit vier Pfeilen im Körper, aber es gibt ihn auch mit mehr als zwanzig, die ihn durchbohren. Kaiser Diokletian hatte Sebastian zum Tod durch Bogenschützen verurteilt, als er nicht von seinem Glauben abschwören wollte. Und doch lebte er weiter! So schwebt er also in dem fröhlich farbigen Raum – und er ist auch in einer Skulptur, die auf die Wendeltreppe im Raum reagiert, als Folienphotographie auf einem „tanzenden Wasser“ zu sehen.
Das allerdings besteht aus Blutbahnen. Wie stark das Leid sich in unserer Tradition als Lebensentwurf Bahn gebrochen hat, zeigt „33 traurige Tragödien“ im Obergeschoss des Kunstraums: Bekannte Leidbilder aus allen Epochen und Kulturen, wie das Selbstporträt von Frida Kahlo oder die weinende Dame von Roy Liechtenstein sind schon in ihrer Ansammlung ein Bild für die (mitleidigen) Götter. Wenn aber wie hier, aus den aufgerissenen Augen die Tränen weitergeführt werden und am Boden als Bleitränen nur einen kleinen Ausschnitt des schweren menschlichen Schicksals symbolisieren, dann ist das komisch. Aber nicht nur. Immer bleibt auch eine Lust am Leid, das durchaus ernst genommen wird in seinen Auswirkungen.
Der gebürtige Argentinier, der bei Rebecca Horn an der Universität der Künste Meisterschüler war, fühlte sich, wie er sagt, von der Intensität der Deutschen angesprochen. Sie machen alles intensiv, auch das Leid – wenn Matthias Grünewald eine Kreuzigung malt, dann ist diese tragischer als eine aus der italienischen Renaissance. Und nun schwebt diese Intensität in einer paradoxalen Haltung zwischen Schwere und Leichtigkeit, und sie kann vielleicht tatsächlich dazu verhelfen, mehr Humor zu entwickeln. Praktisch darf das jeder Besucher ausprobieren, indem er den „Sprung in die Leere nach Yves Klein“ ausstanzen und mit nach Hause nehmen kann. Fröhlich springen dann alle aus dem Fenster.